Donnerstag, 12. März 2015

Der Masern-Prozess: eine Komödie in drei Akten

Stell dir vor, du bist bei Günther Jauch und stehst vor der 100.000-EUR-Frage, die da lautet: Gibt es den Masern-Virus wirklich? Die zur Auswahl stehenden Antworten sind A) Ja, B) Nein, C) Vielleicht und D) Nur wenn man ihn sehen kann. Weil du dir nicht ganz sicher bist, nimmst du vorsichtshalber den Publikumsjoker. Die überwältigende Mehrheit tendiert zu Antwort A. Na? Wie würdest du dich entscheiden? Eben. Leicht verdientes Geld. Das dachte sich auch David Bardens, doch die Sache gestaltete sich dann doch etwas schwieriger.

Leichte Frage für 100.000 EUR, oder?  

Erster Akt:

Aber der Reihe nach: Ende des Jahres 2011 versprach der Biologe und Virus-Leugner Dr. Stefan Lanka 100.000 EUR Belohnung denjenigen, der ihm den Nachweis der Existenz des Masernvirus erbringt. Der Mediziner Dr. David Bardens (damals noch Medizinstudent) nahm diese (nicht besonders anspruchsvolle) Herausforderung an. Nachdem er sich bei Lanka versichert hatte, dass die Auslobung auch erst gemeint ist, übersendete er ihm Fachpublikationen, welche die Existenz des Virus belegen sollen. Außerdem seine Bankverbindung mit der Bitte, die 100.000 EUR zu überweisen. Doch Lanka wies die Forderung mit der Begründung zurück, dass die vorlegte Literatur unzureichend sei. Das wollte Bardens nicht auf sich sitzen lassen und zog am 12. April 2014 vor das Landgericht Ravensburg. Und nun beginnt Teil 2 der Posse.

Zweiter Akt:

Schon vor Prozessbeginn kritisierte Lanka, dass die vorgelegte Literatur internationaler Quellen und nicht dem Robert-Koch-Institut (RKI) entstammt und sie deshalb nicht deutschen Normen unterliegen. Dass sich wissenschaftlicher Standard auf nationaler Ebene unterscheidet, wäre mir allerdings neu. Es würde bei den zahlreichen internationalen Forschungskooperationen auf wenig Sinn machen. Und wieso die Studien gerade von dem von ihm geschassten RKI stammen sollen, bleibt ebenfalls ein Mysterium. Das Gericht sah das auch so und berief Prof. Podbielski, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene der Universität Rostock, als Sachverständigen. Er soll beurteilen, ob die eingereichten Publikationen für einen Beleg des Masernvirus ausreichen. Es folgte ein verwirrender Auftritt der Sängerin Marla Glen, ein missglückter Flashmob von Impfgegnern und die zu erwartende Ablehnung des Gutachters durch Lanka ("der Sachverständige sei [in Sachen Viren] nicht unvoreingenommen"). Fast ein Jahr später erging heute das Urteil: Lanka muss zahlen! Das Gericht erkennt die vorgelegten Publikationen als Beweis für die Existenz der Masernviren an. Hat sich die Geschichte damit erledigt? Vermutlich nicht.

Streitsache Masern-Viren (Quelle: RKI)  

Dritter Akt:

Wie verbohrt muss man in seiner eigenen Ignoranz sein, dass man selbst angesichts tausender Publikationen und nach einem von der Öffentlichkeit belächelten Prozess immer noch die Existenz des Masernvirus (ja sogar aller infektiösen Viren) verleugnet. Gut, man könnte sagen, soll er halt denken was er will und es ist ja schließlich sein Geld. Dennoch ist es gefährlich, wenn sich jemand wie Stefan Lanka als vermeintlicher Experte hinstellt und solch einen nonsense verbreitet. So mancher Laie könnte sich (und seinen Kindern) deswegen eine Impfung vorenthalten. Einige Impfkritiker kokettieren nämlich gerne damit, dass sich niemand Lankas ausgelobte 100.000 EUR abholen kommt, also gebe es wohl keinen Beleg für die Existenz des Masernvirus. Nun hat ihnen Bardens schön einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und was macht er jetzt mit der ganzen Kohle? Da hat er auch schon eine hübsche Idee:

Ich [...] werde das [Geld] dann entschrechend auch weiterleiten an Impfprojekte in Entwicklungsländern, weil ich diese Idee so total charmant finde, Geld aus der Tasche der Impfgegner sozusagen direkt an Impfprojekte zu spenden.

Recht hat er! Doch auf das Geld wird er wohl noch warten müssen. Zum einen ist es fraglich, ob Lanka ihn überhaupt auszahlen kann. Denn 100.000 EUR zu versprechen ist eine Sache, 100.000 EUR zu haben eine ganz andere. Zum zweiten hat Lanka Berufung gegen das Urteil angekündigt, damit "kompetentere Stellen" darüber urteilen können. Wieso das Oberlandesgericht nun kompetenter im Beantworten wissenschaftlicher Fragen ist als das Landgericht, bleibt, wie so oft, Lankas kleines Geheimnis.


Weiterführende Links
    -  Sebastian Bartoschek (Ruhrbarone)
    -  GWUP | Die Skeptiker
    -  Bardens-Interview bei Hoaxilla


Nachtrag (31.5.2015)

Auf der Skepkon 2015 sprach David Bardens über Masern und seine Erlebnisse vor, während und nach dem Gerichtsverfahren.